Obwohl Dan Smith, der kreative Kopf hinter Bastille, sein Debüt noch nicht veröffentlicht hatte, stand der Mann schon prominent in den Schlagzeilen: Mit seiner Live-Band absolvierte er einen Gig im mit 1.500 Zuschauern ausverkauften Londoner KOKO; er kann zwei ebenfalls ausverkaufte Touren durch Großbritannien sowie diverse Festival-Auftritte als Headliner vorweisen. Doch jetzt ist auch die CD ‚Bad Blood‘ in den heimischen Läden gelandet.
Das Erfolgsrezept von Dan Smith? Eine Menge Talent und einige herausragende Veröffentlichungen wie das improvisierte selbstgedrehte Video zur Debütsingle Flaws/Icarus, eine Drei-Minuten-Version des Kino-Klassikers „Badlands“, untermalt mit seiner Laura Palmer-EP, dazu noch drei fesselnde Singles: Overjoyed, Bad Blood und der Re-Release von Flaws. Und dann gibt es noch seine berühmten ‘Mixtapes’: Other People’s Heartache von 2012 und der Nachfolger Other People’s Heartache Part 2, beide mit Tracks, die an der Spitze der „Hype Machine“-Charts landeten. Und das alles ohne ein komplettes Album. Was sich jetzt geändert hat: Denn vergangene Woche erschien Bad Blood. Darin erzählt der Songwriter Dan viele Geschichten, obwohl er als Kind eher davon träumte, Regisseur, Autor oder Journalist zu werden. Trotzdem hat er nun alle diese Berufe quasi vereint.
Wie kam es dazu? Seit frühester Jugend fasziniert ihn das Kino: Die frühe Vorliebe für das Horror-Genre entwickelte sich schnell zur Bewunderung für Dario Argento und den esoterischen europäische Film. Mit „Mulholland Drive“ entdeckte Smith die Arbeit von David Lynch, beides beeinflusste seine Musik hörbar. Natürlich verweist sein Song Laura Palmer auf die 90er-Jahre-Kultserie „Twin Peaks“ um das gleichnamige mysteriöse Mordopfer; eine Zeitlang trug er sogar dieselbe Frisur wie im Film „Eraserhead“. Wären Smith und Lana Del Rey Mitglieder in der Singlebörse Match.com, sie würden im Nullkommanichts ein Paar werden.
Obwohl Smith die kreative Kraft hinter Bastille ist, alle Songs selbst geschrieben und im Schlafzimmer aufgenommen hat, ist die Musik eine Gemeinschaftsarbeit: Der Rest der Band – Bassist Will Farquarson, Keyboarder Kyle Simmons und Drummer Chris ‚Woody‘ Wood – spielt teilweise auf dem Album mit. Bastille ist dennoch das Ergebnis der Zusammenarbeit von Smith und dem fünften Bandmitglied, Produzent Mark Crew. Die Beziehung der beiden begann direkt mit den Anfängen von Bastille. Obwohl die Musik aufwendig teuer klingt, entstand das Album in einem winzigen Raum mit begrenztem Equipment – plus einem Tag für die Streicher-Aufnahmen in den legendären Abbey Road-Studios. „Im Prinzip haben wir in einem Studio von der Größe eines Schranks gearbeitet, ein Extrem kam zum anderen. Für die Produktion wollte ich unbedingt eine epische Instrumentierung mit Texten von intimen Geschichten oder Unterhaltungen kombinieren. Dieser Kontrast hat mich gereizt“, erklärt Smith.
Das Ziel auf dem daraus resultierenden Bastille-Album war laut Smith einfach „jeden Song unterschiedlich anzugehen. Ich wollte für jeden eine eigene Geschichte mit eigener Atmosphäre und verschiedenen Sounds und Produktions-Elementen, darunter Aspekte der unterschiedlichen Genres und Stile, die ich mag: Hip-Hop, Indie, Pop und Folk. Film-Soundtracks können breit gefächert sein, aber sie müssen durch den Film selbst zusammengehalten werden – und ich hoffe, das Album wird etwas Ähnliches, nur eben von meiner Stimme und meinem Songwriting umrahmt, so dass jedes Stück eine Szene und einen Teil aus einem größeren Bild darstellt.“
Ironischerweise kann Smith also nun dank Bastille genau das tun, was er immer schon wollte: Er dreht zu seinen eigenen Songs nicht nur Kurzfilme, sondern tritt sogar in ihnen auf – zum Beispiel im Video für Pompeii, seiner Aussage nach eine „Adaption des Romans ‚I am Legend‘, wäre er vom Regisseur von ‚Drive‘ umgesetzt worden“. Aber das Wichtigste ist: Smith erzählt Geschichten. In einigen benutzt er historisch-mythologische Charaktere als Referenz, andere beschäftigen sich mit der wechselnden Dynamik von Beziehungen und Freundschaften, während wieder andere das erdrückende Gewicht der Verantwortung während des Heranwachsens und dem Umgang damit thematisieren. Hinzu kommen noch Hedonismus und Eskapismus. Vor allem letztere Themen flossen nicht bewusst mit ein, aber traten doch gegen Ende der Aufnahmen hin zum Vorschein. „Einige Teile des Albums sind eher wie eine Rückschau auf die Person, die man geworden ist. In dir dämmert irgendwann die Erkenntnis, dass sich alles auf deinen Schultern stapelt und du es als Erwachsener selbst in Ordnung bringen musst.“
Wie sind nun die Songs im Einzelnen? Pompeii, die epische Kleinode in Miniaturform als Opener, ist ein Märchen über ein Liebespaar, in der Zeit und in der Asche gefangen, die das römische Sündenpfuhl gleichen Namens begraben hat. „Der Text behandelt einen Moment der Reflektion und Selbstwahrnehmung, aber sie sind in
der Zeit gefangen, also ist es ein Moment, der ewig andauern wird.“ Bad Blood hingegen erzählt die Geschichte vom Verlust alter Freundschaften nach einem Zerwürfnis. „Er handelt davon, wie man sich von den Leuten entfernt, mit denen man aufgewachsen ist und wie bizarr es ist, dass vielleicht genau diese Leute einem geholfen haben, zu der Person zu reifen, die man schließlich geworden ist; und auch wenn man sie nicht mehr trifft, ist man in Wirklichkeit noch immer durch die gemeinsame Vergangenheit miteinander verbunden.“
Weight Of Living Pt II beschäftigt sich mit der Tatsache, dass einem das Leben weggerannt ist und man die Kontrolle verloren hat. „Das ist ein entsetzliches Gefühl, aber ich wollte es positiver darstellen, indem ich den Text mit einem richtigen Upbeat unterlegt habe. Man sollte das Ganze nicht allzu ernst nehmen.“ Things We Lost In The Fire wurde inspiriert von einem Freund, dessen Elternhaus niederbrannte, und beschreibt die Geschichte eines Ehepaares, die den Stellvertreter ihrer Beziehung in Flammen aufgehen sahen und nun sprichwörtlich vor deren Trümmer stehen. Oblivion fängt einen intimen Moment ein, in dem jemand mit seinem im Suff völlig weggetretenen Freund redet: „Wie hart auch immer man es versucht, man kann es niemals schaffen, auf den Level der besoffenen Flucht des anderen zu kommen.“ Am Schluss schließlich Get Home, teilweise inspiriert von Brett Easton Ellis‘ Geschichten über junge Leute, die sich im Hedonismus verloren haben. Der Song versucht das Gefühl von Richtungslosigkeit an einem Zeitpunkt der Unsicherheit aufzugreifen, indem „die Geschichte eines völlig vernebelten Heimwegs nach einer Sauftour benutzt wird“.
„Ich bin irgendwie in der glücklichen Position gelandet, in der ich in der Lage bin, alle für mich persönlich interessanten Dinge zusammenzubringen“, sagt Smith bescheiden. Und das kommt von einem Mann, der ganze Konzertsäle aufgrund der Songs füllt, die er in seinem Schlafzimmer kreiert hat. „Vor anderthalb Tausend Menschen im KOKO aufzutreten war unbestreitbar völlig abgefahren“, erinnert er sich. „Das war eine unglaubliche Nacht für uns alle. Aber die Maßstäbe verschieben sich ständig. Man muss immer wieder über etwas Neues nachdenken…“