Auf „Without A Net“ beginnt Wayne Shorters hochkarätig besetztes Quartett jedes Stück in einer Sphäre völliger Offenheit und Rücksichtnahme. In Anbetracht des Raums zwischen den Tönen spürt man, dass die Musiker einander zuhören; sie bewegen sich graziös miteinander.
Das gemeinsame Unterfangen „Without A Net“ befördert Wayne Shorter geradezu ins Unbekannte, mal erschafft er ein Gedicht aus Drehungen und Schnörkeln, mal wagt er sturzartige Sprünge und saxophonistische Wendungen, die jegliche Notation unmöglich machen. Dabei ist er nie zu waghalsig, ist kein versponnener Revoluzzer, der seine eigenen Regeln erstellt? er ist einfach nur von Neugierde getrieben, will sehen, wohin ein kleines musikalisches Motiv ihn führen kann. Diese Neugierde ist ansteckend: Seine Begleiter wagen sich ebenfalls vor, sie teilen seine Geheimnisse.
Diese Art der Bewegung ? dass die Suche eines Musikers die Neugierde der anderen auslöst ? war schon immer charakteristisch für die Musik von Wayne Shorter, angefangen bei seinen Zeiten mit Art Blakey bis hin zu den klassischen Aufnahmen für Blue Note, seine Teilnahme am Miles Davis Quintet in den 1960ern, bei Weather Report ebenso wie in einer Reihe außergewöhnlich einfallsreicher Soloalben. Diese Tradition lässt sich einerseits auf seine Kompositionen zurückführen – rhapsodische Melodien, die die Landschaft des Hard Bop nachhaltig prägten – andererseits fußt es auf der Art, wie er sich in seinen Improvisationen den Melodien annähert.
„Without A Net“ enthält Konzertmitschnitte, die während einer Europatour 2011 aufgezeichnet wurden. Einzige Ausnahme ist ein langes neues Stück, „Pegasus“, mit den Imani Winds Bläsern als Gäste, das in der Disney Hall in Los Angeles aufgenommen wurde und das einfach großartig klingt.
Wayne Shorter und seinen langjährigen musikalischen Begleitern wie dem Pianisten Danilo Perez, dem Bassisten John Patitucci und Drummer Brian Blade ist hier ein weiteres zeitloses Meisterwerk gelungen, das den Vergleich mit seinen erfolgreichen Vorgängeralben nicht zu scheuen braucht.
Wayne Shorter, eine lebende Legende
Der amerikanische Saxophonist Wayne Shorter ist eine lebende Legende. Er spielte zunächst für Horace Silver und Maynard Ferguson, bevor er ab 1959 zu Art Blakey’s Jazz Messengers stieß, bevor er 1964 auf Empfehlung von John Coltrane von Miles Davis abgeworben wurde. Auf Blue Note veröffentlichte er wegweisende Soloalben wie „Speak No Evil“, „Juju“ (mit John Coltrane, McCoy Tyner, Elvin Jones) oder „Night Dreamer“. 1970 gründete er gemeinsam mit dem Keyboarder Joe Zawinul und dem Bassisten Miroslav Vitou? die legendäre Jazz-Rock-Formation Weather Report, der später auch Jaco Pastorius und Peter Erskine angehörten. In die Zeit der frühen Weather Report fällt auch Shorters weitgehender Wechsel vom Tenorsaxophon, das er bis 1968 ausschließlich gespielt hatte, auf das Sopransaxophon und Lyricon. „The Soothsayer“ wurde 1965 zusammen mit Bassist Ron Carter, Drummer Tony Williams, Pianist McCoy Tyner, Trompeter Freddie Hubbard und James Spaulding am Altsaxophon für Blue Note eingespielt, allerdings erst im Jahre 1979 veröffentlicht, obwohl es als einer seiner Klassiker angesehen wird und
Hits wie „Angola“ oder „Lady Day“ enthält.