Ein Duo wie ein Orchester. In dieser Doppelorientierung entsteht geradezu der Eindruck einer improvisierten Collage aus prominenten Gesichtern und Stimmungsempfindlichkeiten, um daraus quasi einen neuen Kanon zu formulieren. Knapp 80 Minuten kalauern die beiden Monzil Brassisten ausgelassen dahin. Live am Muttertag in Wien im Stadtsaal, Mariahilfer Straße 81 ab 20 Uhr. Eine Freude!
Bestechend ist die Umsetzung, unbestechlich ihre gemeinsame Eigensinnigkeit. Das erste Live-Album von Thomas Gansch und Georg Breinschmid beginnt mit einem passenden Resonanzraum und der Aufhebung eines etwaigen Widerspruchs zwischen Klassik und Jazz unter besonderer Berücksichtigung des eigenen Souveränitätsanspruchs, namentlich „Unter Donner und Lee“. Ein variantenreiches Wortspiel, in dem Polka schnell von Johann Strauss auf Bebop Up tempo von Charlie Parker trifft. Diese bunte Magie wird mit den ungeraden Taktarten in „Geilomat“ und „5/4“ fortgeführt. Musik, die freilich nicht auf Konformität setzt und schon gar nicht nach einer langen Geraden in einer Sackgasse mündet, und alleine von daher keinerlei etwaige Ansprüche an Wiederholungskunststücke stellt, sondern mit prägnanten Soloteilen stets neue Details zu Gehör bringt. Bitte dies jetzt nicht zu verwechseln mit diesem humorbefreiten Bildungsbürgertum, das ihre Virtuosität angeberisch zur Schau stellt.
GanSchmid beschreiten definitiv andere Wege und entsprechen so gar nicht dem Bild von Künstlern und Tagelöhnern aus der subventionierten Kulturindustrie. Beider Virtuosität beschränkt sich dabei nicht nur im instrumentalen Können, sondern auch im – mitunter antibürgerlichen – Humor. So z.B. wenn Thomas Gansch in „jaBISTdudenndeppat“ Beethovens schnöden Götterfunken intoniert und zur Einsicht gelangt, „alle Menschen werden … bla bla bla“. Wenn wir schon bei lyrischen Gedankenentwürfen sind: Das vorliegende Live-Album hat hier erneut einiges zu bieten. Zu hören gibt es nämlich außerdem die „Klassik Gstanzln“, also die logische Fortsetzung der „Jazz Gstanzln“ aus dem Breinschmid-Album „Fire“ von 2012. Der Titel gibt bereits das Thema vor. Ein Beispiel gefällig? Bitte sehr: „Seit 40 Jahrn sitze ich drunten im Grabm / würd so gern dort amoe an Mulatschag habm / mit Bier, Zigarettn und nackerte Weiber / doch stattdessen sehe ich nur Carlos Kleiber …“ Dazu gibt es dann noch den Bud Spencer in Bb, sowie den Versuch von Synkopen im Swing. Wie die Musik werden übrigens fast alle Texte gemeinsam geschrieben, sie sind eben ein echtes Duo, unorthodox, seit Jahren gefestigt [sie lernten sich 1997 kennen, freundeten sich schnell an und beschlossen gemeinsame Sache zu machen; Anm.], und, so scheint es, der Zeit oftmals einen Schritt voraus.
Apropos Zeit: Der erste Nummer-Eins-Hit sollte eigentlich nur eine Frage der Zeit sein. Auf dem vorliegenden Album gibt es mit „Der Tod“ (mit schönen Grüßen an das „Leben ist ein Hit“-Formatradio!) einen solchen potenziellen Kandidaten. Eingängige Schlagermelodie zum Mitsummen und Lalallen trifft hier auf einen prägnanten Text, der einem unweigerlich zum Lachen bringt, politische Message inklusive: „Der Tod ist nicht bestechlich, kommt nicht aus Österreich“. Gansch betätigt sich hier als Sänger und Breinschmid spielt alle Instrumente, im Gegensatz zum zweiten Schlager des Albums, „Herbert Schnitzler“, in dem die Tradition des „Neuen Duettenxangls“ gepflegt wird. Dieser autobiografische, intelligent geblödelte Song wurde erstmals auf „Fire“ veröffentlicht, und hier nun also in einer mitreißenden Performance und großem Chor. So schön kann „Vorübergehender Gedächtnisverlust / partielle Amnesie“ sein. Zwischen diesen zwei Schlagern für Fortgeschrittene bringt uns das Duo drei instrumentale Spezialitäten mit spielgewitzter Sorgfalt näher: das Señorige „Sombrero“, Richard Wagners „Low n Green“, auch bekannt als „Lohengrin“, sowie „Kurt“, frei nach „Come as you are“ von Nirvana. Zur Abrundung gibt es dazu eine Ansage, die so schlecht ist, „dass sich der ORF überlegt, uns Dienstagabend eine Show zu geben“, sowie „Irgendwas“ von der taiwanesischen Komponistin Wuahido, die ja ihren Durchbruch bei „Ekkenvölda“, dem schwedischen Festival für Neue Musik, schaffte.
Zum Ausklang des Albums, und um den Eingangssatz Ehre zu gebieten, vollführt das Duo vulgo „die Wiener Philharmoniker und ich“ ein Hasardstück par excellence. Das bekannte Duo aus Amstetten und Melk führt uns vom Walzer „An der schönen blauen Donau“ zu „Can’t buy me love“ und „Lady Madonna“ vom bekanntesten Duo aus Liverpool bis hin zu den Standards „Something stupid“ und „Tea for two“, das alles in komprimierten knapp 14 Minuten, kurzum: Ein Potpourri wie es das Leben schreibt. Vielleicht sollte man ein wenig die biografischen Hintergründe des Trompeters Gansch und des Kontrabassisten Breinschmid kennen, um ihr gemeinsames Schaffen noch besser erfassen zu können, aber es funktioniert auch ohne Hintergrundwissen, und daher wird dieser Teil völlig weggelassen und es erfolgt keine Aufzählung bisheriger Meilensteine. Weder, dass Gansch und Breinschmid jeweils als „Newcomer des Jahres“ vom frühzeitig zu Grabe getragenen Hans Koller Jazzpreis ausgezeichnet und als „Musiker des Jahres“ nominiert wurden, weder, dass Breinschmid sein gesichertes Wiener-Philharmoniker-Dasein aufgab, noch, dass beide über mehrere Jahre hinweg Mitglied vom Vienna Art Orchestra waren, und auch nicht, dass sich Thomas Gansch fast ständig mit Mnozil Brass auf Welttour befindet und trotzdem noch nicht für den „Amadeus – Austrian Music Awards“ nominiert wurde – im Gegensatz zu Breinschmid mit den Alben „Breins World“ und „Fire“. Nein, das brauchen wir eigentlich alles nicht wissen, um dieses „Weltuntergangskonzert“ (mitgeschnitten am 20. und 21. Dezember 2012 im Wiener Konzerthaus) in aller Ausgiebigkeit genießen zu können.
Manfred Horak