Nach „We feed the world“ und „Let’s make money“ kam im vergangenen Herbst Erwin Wagenhofers neuestes Filmwerk „Alphabet“ in unsere Kinos. Jetzt ist das bislang radikalste Statement des 53-jährigen Amstettner Filmemachers als DVD fürs Heimkino erschienen.
Bei ihrer Geburt sind 98 Prozent aller Menschen hochbegabt, nach ihrer Schulzeit sind es nur noch zwei Prozent. Wie ist das möglich? Dieser Frage ging der Amstettner Filmemacher Erwin Wagenhofer im dritten Teil seiner Filmtrilogie auf den Grund.
Unser Wirtschafts- und Gesellschaftssystem wird durch krisenhafte Entwicklungen zunehmend in Frage gestellt und eine Antwort ist nicht in Sicht. Die politischen und wirtschaftlich Mächtigen wurden zum Großteil an den besten Schulen und Universitäten ausgebildet. Ihre Ratlosigkeit ist deutlich zu spüren und an die Stelle einer langfristigen Perspektive ist kurzatmiger Aktionismus getreten.
Mit erschreckender Deutlichkeit wird nun sichtbar, dass uns die Grenzen unseres Denkens von Kindheit an zu eng gesteckt wurden. Egal, welche Schule wir besucht haben, bewegen wir uns in Denkmustern, die aus der Frühzeit der Industrialisierung stammen, als es darum ging, die Menschen zu gut funktionierenden Rädchen einer arbeitsteiligen Produktionsgesellschaft auszubilden. Die Lehrinhalte haben sich seither stark verändert und die Schule ist auch kein Ort des autoritären Drills mehr. Doch die Fixierung auf normierte Standards beherrscht den Unterricht heute mehr denn je.
Denn neuerdings weht an den Schulen ein rauer Wind. „Leistung“ als Fetisch der Wettbewerbsgesellschaft ist weltweit zum unerbittlichen Maß aller Dinge geworden. Doch die einseitige Ausrichtung auf technokratische Lernziele und auf die fehlerfreie Wiedergabe isolierter Wissensinhalte lässt genau jene spielerische Kreativität verkümmern, die uns helfen könnte, ohne Angst vor dem Scheitern nach neuen Lösungen zu suchen.
Erwin Wagenhofer begreift das Thema „Bildung“ sehr viel umfassender und radikaler, als dies üblicherweise geschieht. Fast alle Bildungsdiskussionen sind darauf verkürzt, in einem von Konkurrenzdenken geprägten Umfeld jene Schulform zu propagieren, in der die SchülerInnen die beste Performance erbringen. Wagenhofer hingegen begibt sich auf die Suche nach den Denkstrukturen, die dahinter stecken. Was wir lernen, prägt unseren Wissensvorrat, aber wie wir lernen, prägt unser Denken.
Nach ‚We feed the world‘ und ‚Let’s make money‘ ist ‚Alphabet‘ der abschließende Teil einer Trilogie, der die Themen der beiden vorherigen Filme nochmals aufgreift, gleichsam wie in einem Brennglas bündelt und Erwin Wagenhofers bisher radikalster Film.