Auf Einladung der Wilhelmsburger Steingutfabrik gestaltet die Künstlergruppe Stachel in den historischen Räumen der Fabrik die opulente, genreübergreifende Ausstellung DYSTOPOLY. Auf 1.500 Quadratmeter werden acht Räumen des historischen Dachbodens zum künstlerischen Freiraum über die dystopischen Zustände unserer Erde – verursacht durch die kognitiven Utopien der menschlichen Zivilisationen. Die Ausstellung wird am 5. Mai vom Historiker, Philosophen und Literaturwissenschaftler Dr. Andreas Wagner um 18 Uhr eröffnet. Im Anschluß wird die musikalische Kunstintervention Gergana meets Gaia eine Begegnung mit Evergreen Classicals interpretiert von Gergana Popova (Gesang) und Tobias Faulhammer (Gitarre) geboten. Alle Kunstinterventionen findest du hier >>> Künstlergruppe Stachel.
Die Erde blickt auf rund 4,5 Milliarden Jahre Entwicklungsgeschichte zurück. Seit etwa 3,5 Milliarden Jahren ist Leben auf ihr möglich. Sie ist zwar keine glühende Sonne, aber ein heißer Planet im Universum. Die Kruste der Erde und ihre Atmosphäre ist der einzig mögliche Raum aller Lebewesen auf diesem Planeten. Diese fragile Haut unseres Planeten ist Lebensraum unzähliger unterschiedlicher Lebensformen, dominiert von einer zivilisierten Spezies Homo sapiens, die in ihren konkurrierenden unterschiedlichen Gesellschaftsutopien uneingeschränkt wirklichkeitsfremde machtpolitische Lösungskonzepte propagiert. Diese Spezies Mensch, belebt seit knapp 300 000 Jahren diesen Planeten. Mit dem Anspruch ihn zu beherrschen, droht sie an ihrer eigenen Hybris zu scheitern.
Inspiration für die Ausstellung ist die Computersimulation daisyworld von James E. Lovelock und Andrew Watson, in der es auf einem simulierten erdähnlichen Planeten nur zwei Arten von Lebewesen gibt: Gänseblümchen (Daisies) mit schwarzen Blüten, die Licht absorbieren und Gänseblümchen mit weißen Blüten, die es reflektieren. Beide Arten haben dieselbe Wachstumskurve, ihre Reproduktionsrate hat die gleiche Abhängigkeit von der Temperatur.
Zu Beginn der Simulation ist der Planet Daisyworld so kalt, dass nur ein paar schwarze Gänseblümchen und fast keine weißen Gänseblümchen überleben können. Jedes Mal, wenn die Temperatur fällt, fangen die schwarzen Blüten an, zu dominieren. Mit der Erwärmung des Planeten können sich nun auch weiße Gänseblümchen besser vermehren, da sie aufgrund ihrer geringeren Temperatur eine bessere Vermehrungsrate haben, als die nun schon über ihrem Optimum liegenden schwarzen und heißeren Gänseblümchen. Der Planet erreicht ein Temperaturgleichgewicht. Jede Erwärmung führt zu einer größeren Anzahl weißer Gänseblümchen, jede Abkühlung zu mehr schwarzen Gänseblümchen. Ein derartiges System ist bemerkenswert stabil gegenüber sich verändernder Strahlungsleistung der Sonne. Der gesamte Planet reguliert sich selbst.
Ab einem gewissen Punkt jedoch übersteigt die externe Strahlungsleistung die Regulationskräfte durch die konkurrierenden Gänseblümchen und der Planet wird von Hitze überwältigt. Wird die Simulation ohne die Gänseblümchen durchlaufen, steigt der Temperaturverlauf synchron zur Strahlungsleistung der Sonne. Mit den Gänseblümchen gibt es zu Beginn der Simulation verstärkte Erwärmung und zum Ende verstärkte Kühlung, was zu einer nahezu konstanten Gleichgewichtstemperatur während des größten Teils der Simulation führt. Auf diese Weise verändern die Gänseblümchen das Klima derart, dass die Bedingungen für sie lebensfreundlicher werden.
Die Gaia Hypothese ist keine personifizierte Darstellung unseres Planeten, sondern die gewaltige Menge aller interagierenden Ökosysteme seiner Oberfläche, und wurde von der Mikrobiologin Lynn Margulis und dem Chemiker, Biophysiker und Mediziner James Lovelock Mitte der 1970er-Jahre entwickelt.
DYSTOPOLY – Eine metamorphe transhumanistische Reise zu den Gänseblümchen | Wilhelmsburger Steingutfabrik, Färbergasse 11, A-3150 Wilhelmsburg
Von 1. Juli bis 3. September 2023 ist die Ausstellung geschlossen.
Fotos: Christa Stangl, Künstlergruppe Stachel