John Cale landete vor zwei Wochen mit seinem neuen Album „POPtical Illusion“ via Double Six/Domino auf der Scheibenwelt. Trotz des verspielten Titels enthält das zweite Album des Gründungsmitgliedes der US-Avantgarde-Band The Velvet Underground (1965) in etwas mehr als einem Jahr immer noch die gleichen starken Gefühle von heftiger und neugieriger Wut, die schon in seinem viel gelobtem Album „Mercy“ im vergangenen Jahr vorhanden waren. Er ist immer noch wütend, immer noch erzürnt über die mutwillige Zerstörung, die unkontrollierte Kapitalisten und reuelose Betrüger über die Wunder dieser Welt und die Güte der Menschen gebracht haben.
Doch beim vorliegenden Album es handelt sich keineswegs um „Mercy II“ oder um eine Sammlung von Resten, denn in seiner mehr als sechs Jahrzehnte währenden Karriere war John Cale nie ein Freund von Wiederholungen. Seine avantgardistische Begeisterung wechselte mit stolzer Unruhe zwischen ekstatischer Klassik und ungebundenem Rock, klassischem Songhandwerk und elektronischer Neuinterpretation hin und her. Und so verzichtet er auf „POPtical Illusion“ auf die illustre Besetzung, um sich größtenteils allein in das Labyrinth von Synthesizern und Samples, Orgeln und Klavieren zu begeben, mit Worten, die für Cale eine Art brodelnde Hoffnung darstellen, ein weises Beharren darauf, dass Veränderung noch möglich ist.
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Produziert von John Cale und seiner langjährigen künstlerischen Partnerin Nita Scott in seinem Studio in Los Angeles, ist „POPtical Illusion“ das Werk eines Poeten, der versucht, sich der Zukunft zuzuwenden – genau so, wie John Cale es immer getan hat.
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John Cale war schon immer ein Musiker der Zeit und trug dazu bei, titanische Veränderungen in Klang und Kultur einzuleiten. Die bahnbrechenden Drones seiner Sun Blindness Music ebneten vor fast 60 Jahren den Weg zu The Velvet Underground. Der wilde Rock von Fear und Slow Dazzle, ganz zu schweigen von seinen Produktionen mit Patti Smith und den The Stooges, prägte ein halbes Jahrhundert lang Punk, Post-Punk und Art-Rock. Und seine Neugier, wie Elektronik in der Rockmusik mehr als nur ein Gimmick sein könnte, diente als Inspiration für eine unzählige Anzahl entscheidender Szenen. Auf POPtical Illusion zeigt sich Cale einmal mehr als Musiker dieser Zeit. Er blickt auf die inszenierten Wirren der jüngeren Geschichte, runzelt angewidert die Stirn und wendet sich dann auf dem Absatz einer Zukunft zu, auch wenn er – wie wir alle – nicht weiß, was er dort vorfinden wird oder wer genau er dort sein wird. Er ist einfach nur glücklich, dass er sich auf den Weg macht.
Und wir freuen uns über alle Maßen, dass uns der geniale Altmeister wieder auf der Scheibenwelt erschienen ist.
Fotos © Double Six/Domino, Madeline McManus,